Die Revolution von 1918/19 besiegelte den Untergang des kaiserlichen Obrigkeitsstaats und führte zur Gründung der ersten deutschen Republik. Gleichzeitig war diese Etappe eine Zeit der großen Herausforderungen und der Gefährdung der noch jungen Demokratie: Der politische Kampf revolutionärer und gegenrevolutionärer Kräfte forderte Friedrich Ebert und die Sozialdemokratie als Regierungspartei heraus. Ebert, der für kurze Zeit das Amt des Reichskanzlers bekleidete, setzte die Wahl einer Verfassunggebenden Nationalversammlung durch. Damit bekannte er sich klar zum Parlamentarismus und ermöglichte die Schaffung einer freiheitlich-pluralistischen Gesellschaftsordnung. In dieser Situation des Umbruchs war Ebert auf die Kooperationsbereitschaft der größtenteils antidemokratischen Eliten des untergegangenen Kaiserreichs in Militär, Wirtschaft, Verwaltung und Justiz angewiesen. Gegen alle Widerstände gelang der Übergang von der Revolution in die Demokratie.
Am 3. November 1918 begann der Kieler Matrosenaufstand gegen die sinnlose Fortführung des Ersten Weltkriegs, der sich in rasender Geschwindigkeit zur Revolution ausweitete. Entschieden forderte die SPD die Abdankung des Kaisers und die Übertragung der Regierungsgeschäfte. Am 9. November 1918 übergab Reichskanzler Prinz Max von Baden Friedrich Ebert die Regierungsgeschäfte. Das war eine historische Wende: Der Regierungschef des kaiserlichen Deutschland legte dem Vorsitzenden der Sozialdemokratie, die im Kaiserreich bekämpft und ausgegrenzt worden war, das Schicksal des Reichs in die Hände.
Damit waren zentrale Forderungen der SPD erfüllt worden. Ganz in diesem Sinne postulierte Ebert: „Deutschland hat seine Revolution vollendet.“ Auch wenn er offiziell nur einen Tag als Reichskanzler amtierte, sollte er in der Folgezeit bis zum Zusammenkommen der Nationalversammlung im Februar 1919 die Politik prägen. Im Rat der Volksbeauftragten, der revolutionären Übergangsregierung aus je drei Vertretern von SPD und USPD, übte er faktisch die Funktion des Vorsitzenden aus.
Friedrich Ebert war in den drei Monaten vom Zusammenbruch des Kaiserreichs am 9. November 1918 bis zur Konstituierung der Nationalversammlung am 6. Februar 1919 mit großen politischen Herausforderungen konfrontiert. Das Erbe des Kaiserreichs und die Folgelasten des verlorenen Weltkriegs forderten ihn und die Sozialdemokratie nun als gestaltende politische Kraft heraus. Nach zwei besonders harten Kriegswintern konzentrierte Ebert sich auf die Sicherung der Ernährung der Bevölkerung und auf die Demobilisierung zur geordneten Rückführung der nach dem Zusammenbruch desorientierten Frontsoldaten. Erst im Anschluss sollten weitergehende sozialistische Forderungen in Wirtschaft und Gesellschaft umgesetzt werden.
Richtschnur der Politik Eberts war ein urdemokratisches Selbstverständnis: „Die Demokratisierung ist für Reich und Volk eine Lebensnotwendigkeit“, hatte er am 3. November 1918 geschrieben. Daher setzte er alles daran, so schnell wie möglich eine staatsrechtliche Grundlage für die neue Republik zu schaffen und die Nationalversammlung einzuberufen. Die revolutionäre Übergangsregierung begriff er lediglich als Konkursverwalter des alten Regimes und als Treuhänder der Macht. „So lange aber unser Volk nicht in freier Wahl seine Regierung selbst bestimmen kann, so lange bleibt jede Regierung ein Provisorium.“ In diesem Sinn war es die Aufgabe der Revolutionsregierung, den reibungslosen Übergang in den demokratischen Verfassungsstaat zu garantieren und dabei Chaos und Bürgerkrieg zu vermeiden. Beseelt von dem Glauben an die Reform und geprägt von demokratischer Grundüberzeugung, lehnte er ein längerfristiges, demokratisch nicht legitimiertes Revolutionsregime ab.
In einer der komplexesten Problemlagen deutscher Geschichte der neueren Zeit galt es, die Republik zu gestalten. Dabei agierte die Revolutionsregierung aus SPD und USPD nicht im luftleeren Raum. Sie konnte nicht ruhig am „Reißbrett“ den neuen Staat entwerfen. Für die Stabilisierung der politischen Verhältnisse mussten die im Krieg gewachsenen Klassenspannungen abgebaut und die Gesellschaft innerlich befriedet werden. Die hoch entwickelte Industriegesellschaft Deutschlands sollte zu einem festen republikanischen Verfassungsstaat fortentwickelt werden.
Angesichts der kritischen innenpolitischen Lage und der außenpolitischen Zwänge war es nach Friedrich Eberts Ansicht erforderlich, auf die alten noch intakten zivilen und militärischen Apparate zurückzugreifen. So verständigte er sich auf eine Zusammenarbeit mit der Obersten Heeresleitung (OHL). Ein konspirativer „Pakt“ mit den alten militärischen Gewalten war dies nicht. Die Übereinkunft zwischen militärischer und politischer Führung entsprach schlicht politischer Zweckmäßigkeit und war ein entscheidender Akt zur Stabilisierung der soeben erst übernommenen Regierungsverantwortung. Die schnelle Rückführung der noch weit in Feindesland stehenden Truppen, die nach den Waffenstillstandsbedingungen innerhalb von 15 Tagen zu erfolgen hatte, erforderte nach Eberts Überzeugung einen eingespielten militärischen Apparat. Er machte aber keine politischen Zugeständnisse.
Neben der Funktionstüchtigkeit des Staats war die Konsolidierung der wirtschaftlichen und sozialen Lage oberstes Ziel der Politik Eberts. Der von ihm immer wieder erwähnte Problemstau nach dem Ende des verlorenen Kriegs ließ aus seiner Sicht keinen Spielraum für umfassende personelle Neubesetzungen in Wirtschaft, Militär und Verwaltung – im Gegenteil: Es schien dringend geboten, sich auf das Expertenwissen der bürokratischen und militärischen Elite zu stützen: „Ein Versagen der Organisation […] würde Deutschland der Anarchie und dem schrecklichen Elend ausliefern“, hatte der neue Reichskanzler bereits am 9. November gemahnt. „Die Maschine der Verwaltung, die Maschine der Ernährung, die Maschine der Rohstoffversorgung“ mussten, so Ebert am 18. November, reibungslos funktionieren.
Neben einem enormen Zeitdruck waren Ebert und die Revolutionsregierung einer extremen physischen und psychischen Belastung ausgesetzt. Man befand sich in einem politischen Hexenkessel, wo man ein „Fell wie ein Rhinozeros“ (Philipp Scheidemann) haben musste. Auch wenn Ebert die nötige politische Festigkeit besaß, so sah er doch seinen Weg in die Demokratie durch die radikale Linke gefährdet. Dabei überschätzte er zweifelsohne die bolschewistische Gefahr. Russland stand aber als negatives Beispiel vor Augen, wo eine Minderheit die Mehrheit ausgeschaltet hatte und ein Bürgerkrieg mit katastrophalen Folgen – Hungersnot und Wirtschaftschaos – ausgebrochen war. Ein solches Schicksal sollte Deutschland erspart bleiben.
Die aus den Problemlagen resultierende Konzentration auf die Funktionstüchtigkeit der Verwaltung und die Zielstrebigkeit, mit der die Mehrheitssozialdemokraten auf einen raschen Zusammentritt der Nationalversammlung hinarbeiteten, bedeutete keineswegs, dass die Revolutionsregierung gänzlich auf Reformen verzichtete. Am 12. November verwirklichten die Volksbeauftragten in einer Proklamation einige ursozialdemokratische Forderungen. Dieses verfassungsrechtliche Dokument, das als „Magna Charta der Revolution“ bezeichnet worden ist, sicherte die Grundrechte wie Vereins- und Versammlungsrecht, Meinungs- und Religionsfreiheit. Bahnbrechende sozialpolitische Maßnahmen wurden auf den Weg gebracht wie die Einführung des Achtstundentags zum 1. Januar 1919. Damit wurde die zentrale sozialpolitische Forderung der Arbeiterbewegung aus der Vorkriegszeit Wirklichkeit. Mit der Verankerung des Frauenwahlrechts legte die Revolutionsregierung den Grundstein für die politische Gleichberechtigung von Mann und Frau; das war ein historischer Meilenstein. Gleichzeitig wurde das Verhältniswahlrecht anstelle des Mehrheitswahlrechts eingeführt, das im Kaiserreich die SPD so stark benachteiligt hatte.
Mit diesem eindrucksvollen Reformpaket wurde der Weg in die Demokratie geebnet, die so schnell wie möglich handlungsfähig werden sollte. In dem Streben nach parlamentarischer Demokratie lehnte Ebert eine Räteherrschaft, die von einer Minderheit radikal-revolutionärer Kräfte gefordert wurde, strikt ab. Als reformorientierter Repräsentant der im Kaiserreich gesellschaftlich ausgegrenzten Sozialdemokratie wollte er keine neue Klassenherrschaft errichten. Die neue Republik sollte allen Bevölkerungsteilen die Möglichkeit zur Mitgestaltung geben. Das war Eberts ureigenes Verständnis von Demokratie. Es ging ihm um Gleichberechtigung aller Menschen. Das war für ihn „der große ideale Gedanke der Demokratie”, wie er es einleitend auf dem Ersten Allgemeinen Kongress der Arbeiter- und Soldatenräte Deutschlands Mitte Dezember 1918 formulierte. Der Kongress stützte Eberts Politik einer raschen Konstituierung der Nationalversammlung und bestimmte den 19. Januar 1919 als Wahltermin. Zugleich erteilten die Arbeiter- und Soldatenräte der Idee eines Rätesystems als Grundlage einer sozialistischen Republik eine Absage.
Eigentlich war der Weg frei in die parlamentarische Demokratie, doch die innenpolitischen Konflikte spitzten sich zu, die Auseinandersetzungen verlagerten sich auf die Straße. Die USPD trat Ende Dezember 1918 aus dem Rat der Volksbeauftragten aus. Sie protestierte damit gegen den von Ebert angeordneten militärischen Einsatz gegen die meuternde Volksmarinedivision. Für die USPD-Mitglieder war der Einsatz des Militärs der äußere Anlass, aus der Revolutionsregierung auszuscheiden. Der tiefere Grund lag in den wachsenden Differenzen zwischen der MSPD und der immer stärker unter Druck der Linksradikalen geratenen USPD.
Der Austritt der USPD aus der Regierung, der nachfolgend nur noch Vertreter der MSPD angehörten, führte direkt zu den Januarunruhen, auch als „Spartakus-Aufstand“ bekannt. Es war das Ziel der radikalen Linken, mit der zum Jahreswechsel 1918/19 gegründeten KPD mit Karl Liebknecht an der Spitze, die „Regierung Ebert-Scheidemann“ zu stürzen. Aus der Perspektive der sozialdemokratisch geführten, provisorischen Reichsregierung stellte dies eine Bedrohung der erreichten politischen Reformerfolge dar. Vor allem gefährdete der Aufstand den Weg zu freien Wahlen und damit in die parlamentarische Demokratie. Deshalb ließ die Regierung Ebert den Aufstand mit Hilfe des Militärs niederschlagen.
Am 15. Januar 1919, zwei Tage nach dem Ende des Aufstands, wurden die beiden kommunistischen Leitfiguren Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht durch reaktionäre Freikorpssoldaten unter Führung des Befehlshabers Waldemar Papst brutal ermordet. Friedrich Ebert reagierte mit Bestürzung und Abscheu auf diese Tat. Das viel zu milde Urteil gegen die Mörder von Luxemburg und Liebknecht im Oktober 1919 hat Ebert, der zu diesem Zeitpunkt bereits zum Reichspräsidenten gewählt worden war, ausdrücklich missbilligt.
Der immer wieder erhobene Vorwurf, die ehemaligen Sozialdemokraten Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht seien im Zuge des gescheiterten Aufstands auf Betreiben der SPD-Führung durch Regierungssoldaten ermordet worden, ist historisch falsch und entbehrt jedweder Quellenbasis. Dennoch lagen die Morde und die Niederwerfung der Januar-Revolte durch Freikorpssoldaten wie ein Schatten auf der Bilanz der Revolution. Dass kein entschlossener Versuch einer Demokratisierung von Verwaltung, Wirtschaft und Militär unternommen wurde, gehört zu den pragmatischen Basiskompromissen bei der Gründung der Republik. Die SPD übernahm in einer politisch brisanten Situation historische Verantwortung und war bestrebt, die demokratische Neuordnung des Staats und die Lebensfähigkeit der Republik zu gewährleisten. Hierzu war sie auf die Unterstützung der alten Eliten in Verwaltung, Militär und Justiz angewiesen und musste in hohem Tempo schwierige Entscheidungen treffen. Für lange Diskussionen und Erörterungen blieb angesichts der extrem unübersichtlichen Lage keine Zeit. Zwar erkannte der „Rat der Volksbeauftragten“ die Gefahr, die von einem Bündnis mit der Obersten Heeresleitung ausging und einigte sich noch im Verein mit der USPD am 12. Dezember 1918 auf ein Volkswehrgesetz. Umgesetzt wurde diese voll in der programmatischen Tradition der Sozialdemokratie stehende Idee jedoch nicht mehr. Erstes und wichtigstes Anliegen der Regierung Ebert war die Verteidigung der entstehenden parlamentarischen Republik mit demokratischen Mitteln gegen deren Gegner von rechts und links. Mit mangelndem Mut oder fehlender Risikobereitschaft hatte das nichts zu tun. Es war vielmehr nüchterne Analyse der Lage und sorgsames Abwägen von Nutzen und Gefahren bestimmter Maßnahmen, die Ebert vorsichtig agieren ließen. Ob mit dieser Politik der behutsamen Verwaltung anstelle einer revolutionären Gestaltung tatsächlich versäumt wurde, die neue Republik auf solidere Fundamente zu stellen, macht den Kern der historischen Kontroverse aus.
Am 6. Februar 1919 eröffnete Ebert im thüringischen Weimar das erste aus wirklich freien, geheimen und allgemeinen Wahlen hervorgegangene Parlament in der deutschen Geschichte. Der Bürgerkrieg wurde abgewendet, der drohende Einmarsch der Alliierten vermieden. Die Rückführung des Heeres und seine Demobilisierung gelangen ebenso wie die Wiedereingliederung der heimkehrenden Soldaten in den Produktionsprozess. Die Versorgung der Bevölkerung konnte im Rahmen der begrenzten Möglichkeiten aufrechterhalten werden. Die Staatsmaschinerie funktionierte, die Reichseinheit blieb trotz separatistischer Strömungen erhalten.
Es war Verdienst und Leistung von Ebert und der Revolutionsregierung, dass trotz der schwierigen Ausgangslage und der desaströsen Rahmenbedingungen schon nach so kurzer Zeit ein demokratisches Parlament seine Arbeit aufnehmen konnte. Nicht alles war gelungen, nicht mit allem konnte er zufrieden sein. Doch hatte er in der Revolution im Wesentlichen das erreicht, was er in diesen Monaten für notwendig und möglich hielt: die parlamentarische Demokratie. Alles andere schien ihm undemokratisch, weil nicht durch ein Votum des Wählers abgesichert, das für ihn Richtmaß des politischen Handelns war. Ohne den Klassenkompromiss von sozialdemokratischer Arbeiterbewegung und reformbereitem Bürgertum war die Republik nach Eberts Überzeugung nicht lebensfähig. Der Vorwurf, bestimmte Reformen nicht in Angriff genommen zu haben, trifft den überzeugten Demokraten nicht, der die Verwirklichung der Reformen wie etwa die Sozialisierung der Großindustrie als Aufgabe des künftigen Parlaments betrachtete.
Der Grundstein für die parlamentarische Demokratie war gelegt. Sie abzusichern und auszuformen war Aufgabe der verfassunggebenden Nationalversammlung. Demokratie meinte für Ebert immer gleichberechtigte Partizipation aller Bürger und Bürgerinnen. Das war das urdemokratische Prinzip, dem er sich als Volksbeauftragter und auch als erstes Staatsoberhaupt der Republik verpflichtet fühlte.